Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Gesetze
(Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III)
Artikel 1
Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch:
Grundsätzlich ist es unerlässlich, dass die Kommune in die Veränderungen der örtlichen Pflegeinfrastruktur eingebunden ist. Vor allem bei der sozialräumlichen, quartiersbezogenen Beratung, Versorgung und Begleitung von pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen sind kommunale Unterstützungsangebote unerlässlich. Beratung zur Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen, Hilfe zur Pflege, Wohnberatung, Schwerbehindertenberatung usw. gehören in die Hand der Kommune und müssen in enger Zusammenarbeit mit ambulanten, teilstationären und stationären Diensten und Einrichtungen die Versorgung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen sicherstellen.
Mit der Einbindung in die fachliche Beratung in Pflegestützpunkten oder beim sogenannten „Pflegeberatungs-Besuch“ nach § 37 Abs. 3 SGB XI dürften die Kommunen allerdings überfordert sein. Derzeitige Beratungsleistungen zur Kranken- und Pflegeversicherung werden i.d.R. von (praxis)erfahrenen Fachkräften mit einer hohen fachlichen Kompetenz erbracht. Diese im SGB XI getroffene Abgrenzung von Beratungsleistungen sollte schon deshalb beibehalten werden, damit die Kommune nicht ungewollt in einen Interessenkonflikt gerät, wenn pflegebedürftige Menschen mit Sozialhilfebezug eine stationäre Pflege der ambulanten Versorgung vorziehen.
Artikel 1 Ziffer 2. beziehend auf § 7b Abs. 2a SGB XI:
Die Kommunen sollen kraft Gesetz als Beratungsstellen für Pflegeberatung nach § 7a SGB XI anerkannt werden. Allerdings haben die Pflegekassen keinerlei Kontrollfunktionen über die Erfüllung der Anforderungen für eine neutrale und unabhängige Pflegeberatung, weil nach dem Referentenentwurf der § 7b Abs. 2 Satz 1 SGB XI nicht zur Anwendung kommen soll. Es muss mindestens sichergestellt sein, dass auch die Pflegeberatung der Kommunen die Anforderungen an die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI erfüllt. Eine Sonderstellung der Kommunen ist mit Blick auf die leistungserschließende Beratung nicht gerechtfertigt.
Vorschlag:
Der Satz „Absatz 2 Satz 1 kommt nicht zur Anwendung.“ Ist zu streichen.
Artikel 1 Ziffer 4. beziehend auf § 8a Abs. c) (2) SGB XI:
Aus dem Wortlaut der vorgeschlagenen Erweiterung des § 8a SGB XI geht nicht klar und eindeutig hervor, ob neben dem Landespflegeausschuss nach Absatz 1 zusätzlich noch ein sektorenübergreifender Landespflegeausschuss nach Landesrecht vorgesehen werden kann.
Vorschlag:
§ 8a Abs. c (2) wird nach den Worten „eingerichteten Ausschuss“ mit „nach Absatz 1“ ergänzt.
Artikel 1 Ziffer 4. beziehend auf § 8a Abs. c) (5) SGB XI:
Nach dem Entwurf sollen Empfehlungen der neu zu gründenden Ausschüsse auf Landes- bzw. Regionalebene beim Abschluss von Versorgungsverträgen sowie Vergütungsvereinbarungen einbezogen werden. Wie genau dies geschehen soll, bleibt allerdings völlig unklar. Insbesondere ist offen, ob Kommunen beim Abschluss von Versorgungsverträgen für vollstationäre Pflege derart Einfluss nehmen können, dass eine Zulassung nicht gewährt wird – obwohl § 71 SGB XI nicht verändert wird, also die Zulassungsvoraussetzungen wie bisher bestehen bleiben. Es steht zu befürchten, dass in weiterer Folge aus der SOLL-Regelung eine MUSS-Regelung wird, mithin die Zulassungsregelungen nach § 71 SGB XI im Sinne einer Bedarfssteuerung durch die Kommunen gesteuert werden.
Mit der vorgelegten Formulierung im Referentenentwurf kann nicht abschließend bewertet werden, wie sich die Empfehlungen der Ausschüsse für die Pflegeeinrichtungen in Vergütungsverhandlungen (Einzelverhandlungen oder auf Landesebene) auswirken werden; die Vorschriften im Achten Kapitel des SGB XI gilt es zu beachten. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt haben die Kommunen über die in der Pflegesatzverhandlung beteiligten Sozialhilfeträger einen sehr großen Einfluss auf Vergütungsverhandlungen. Eine weitere Regelung ist obsolet.
Vorschlag:
Entsprechend der aufgeführten Erläuterung ist § 8a Abs. c) (5) SGB XI zu streichen.
Artikel 1 Ziffer 9. beziehend auf § 37 Abs. 8 Ziffer (8) SGB XI:
Eine weitere Aufsichts- und Kontrollinstitution zu schaffen, indem Kommunen die Möglichkeit geschaffen wird, Beratungsbesuche bei Pflegegeldempfängern nach § 37 Abs. 3 SGB XI durchführen zu können, ist über die bereits existierenden Regelungen hinaus nicht notwendig. Maßgeblich bei den Beratungsbesuchen ist eine transparente, neutrale und unabhängige Prüfung, ob die Pflegesituation des Betroffenen akzeptabel ist oder Maßnahmen zur Verbesserungen der Situation des/der Pflegebedürftigen eingeleitet werden müssen. Hier ist auf die Kompetenz der örtlich tätigen, fachlich erfahrenen Pflegedienste zu setzen, welche bereits jetzt zielgerichtet über weitere Leistungen – auch über die Sachleistungen nach § 36 SGB XI hinaus – informieren (z.B. Beratung pflegender Angehöriger nach § 45 SGB XI, Leistungen nach §§ 40, 45a, 45b SGB XI). Wir befürchten, dass die Kommunen mit Blick auf Kosteneinsparungen zu ihren Gunsten beraten werden. Überdies ist zu befürchten, dass durch die Übertragung der Beratungsbesuche auf die Kommunen Einspareffekte bei den Pflegekassen erzielt werden sollen, da die Beratungsbesuche durch kommunale Mitarbeiter gemäß der vorgeschlagenen Regelung nicht durch die Pflegekassen zu vergüten ist. Zum Vergleich: Pflegedienste erhalten 22 bzw. 32 EUR pro Beratungsbesuch.
Vorschlag:
Die unter Artikel 1 Ziffer 9. vorgeschlagene Ergänzung des § 37 Abs. 8 mit Ziffer (8) SGB XI wird gestrichen.
Artikel 1 Ziffer 10.a) beziehend auf § 45b SGB XI:
Die vorgeschlagene Änderung des §45b Abs. 2 ist unzureichend. Noch immer ist offenbar neben dem Einreichen von Rechnungen zur Kostenerstattung ein Antrag auf Leistungen erforderlich, was die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen mit unnötiger Bürokratie belastet. Das Ziel des Gesetzgebers, die Fehlentwicklung aufzufangen, wird so nicht erreicht. Eine Klarstellung der Regelung zum Anspruch auf Entlastungsbetrag wird im vorgelegten Entwurf nicht ausreichend deutlich; lediglich in der Gesetzesbegründung wird die Zielrichtung beschrieben.
Vorschlag:
In § 45b Abs. 2 Satz 1 SGB XI sind die Worte „auf Antrag“ zu streichen. Anspruchsgrundlage auf den Entlastungsbetrag bilden die eingereichten Belege.
Artikel 1 Ziffer 18. „Dreizehntes Kapitel Befristetes Modellvorhaben“ beziehend auf die neu einzuführenden §§ 123, 124 im SGB XI:
Die in §§ 123 und 124 geregelten und neu einzuführende Modellvorhaben schließen insbesondere hinsichtlich der Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 SGB XI die örtlich ansässigen und in der Regel langjährig tätigen Pflegedienste aus. Die Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen wird hier ohne Not massiv eingeschränkt, bisherige Kontakte zu Leistungserbringern (ausdrücklich erwünscht in § 37 Abs. 4 Satz 4 SGB XI – Beratungsbesuche auf Dauer von derselben Pflegekraft) werden unterbrochen, nur um den Beratern der Kommunen eine starke Einflussmöglichkeit zu verschaffen.
Offenbar soll mit der Beratung durch Kommunen erreicht werden, dass eine Leistungsinanspruchnahme durch Pflegebedürftige möglichst keine oder nur geringe Kosten für die Kommune und damit den Sozialhilfeträger verursacht. Ob hier eine neutrale, leistungserschließende Beratung im Sinne des Pflegebedürftigen erfolgt, ist stark zu bezweifeln. Die Pflegekassen und die ambulanten Pflegedienste, die von sich aus umfassend zu allen möglichen Leistungen der Pflegeversicherung und auch der Krankenversicherung beraten, werden ausgeschlossen. Problematisch ist dabei insbesondere, dass es hinsichtlich der Pflegeberatung keinerlei Wahlfreiheit in Kommunen mit Modellvorhaben geben soll, folglich eine erhebliche Einschränkung für die betroffenen Pflegebedürftigen in ihren Grundrechten verfolgt wird. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Regelung verfassungsgemäß ist.
Gleiches gilt dem Grunde nach auch für das Angebot an Pflegekursen nach § 45 SGB XI, bei deren Inanspruchnahme auch gewachsene Strukturen und Kontakte unterbrochen werden sollen.
Vorschlag:
Die §§ 123 und 124 SGB XI sind komplett zu streichen.
Artikel 1 Ziffer 19. beziehend auf § 141 Abs. 3 SGB XI:
Die formulierte Ergänzung in § 141 Abs. 3 SGB XI für die Überleitung der Kurzzeitpflege bedeutet einen besonders hohen Aufwand für die Pflegeeinrichtungen. Dass die im Dezember 2016 geltenden Pflegesätze für Kurzzeitpflege auch noch bis zum Februar 2017 gelten sollen, gerät in Konflikt mit den Regelungen des PSG II, und verursacht Probleme mit
den EDV-System der Pflegeeinrichtungen, da diese zum 01.01.2017 in der Regel automatisch auf die Pflegegrade umgestellt werden und es insoweit keine Pflegestufen bis in den Monat Februar 2017 hinein mehr geben wird. Für Kurzzeitpflegegäste im Übergang vom 31.12.2016 auf den 01.01.2017 kann diese automatisierte Überleitung von Pflegestufe in Pflegegrad im EDV-Systems der Pflegeeinrichtung nicht stattfinden. Eine entsprechende Lösung für die Pflegeeinrichtung gilt es zu erarbeiten.
Im Zusammenhang mit der Ermittlung des Zuschlags bei der Inanspruchnahme von Sachleistungen während der Kurzzeitpflege möchten wir darauf hinweisen, eine bundesweit einheitliche pauschale Monatsabrechnung als Regelung für alle vollstationären Einrichtungen anzusetzen. Bisher verfolgen die Länder unterschiedliche Regelungen zur Abrechnung vollstationärer Pflegeleistungen. Dies reicht von taggenauer Abrechnung über pauschalierende Werte mit 30,42 Tagen oder 30,4 Tagen oder 30,4167 Tagen. Wenn nun im Bereich der vollstationären Pflege ein einrichtungseinheitlicher Eigenanteil geschaffen wird, der sich auch bei unterschiedlichen Kalendertagen im Monat nicht ändert, muss zwingend ein bundesweit einheitlicher Abrechnungsmonat mit 30,42 Tagen gesetzlich vorgegeben werden.
Vorschlag:
Entsprechend der Ausführung schlagen wir die Änderung des § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI wie folgt vor:
„Die Pflegesätze, die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie die gesondert berechenbaren Investitionskosten (Gesamtheimentgelt) werden für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts berechnet (Berechnungstag); bei der Berechnung sind für volle Kalendermonate jeweils 30,42 Tage zugrunde zu legen.“
Artikel 2
Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch:
Siebtes Kapitel
Hilfe zur Pflege
§ 63a SGB XII Pauschalierter pflegerischer Bedarf:
Nach der vorgeschlagenen Regelung können offenbar Mehrkosten von 10 Prozent über dem Sachleistungsbetrag der Pflegeversicherung aus § 36 SGB XI ohne Prüfung im Einzelfall
geltend gemacht werden. Alles, was darüber hinausgeht, muss folglich fachlich begründet und hinsichtlich des Bedarfs nachgewiesen werden. Die Regelung dient insbesondere der Entlastung der Sozialhilfeträger durch Wegfall der Einzelfallprüfung für Mehrbedarfe unterhalb des Schwellenwertes von 10 Prozent.
Die Ergänzung ist grundsätzlich zu begrüßen, weil damit auch eine Vereinfachung für Leistungsempfänger verbunden ist. Allerdings steht zu befürchten, dass die Ablehnungsrate bei einem Mehrbedarf über die pauschalierten 10 Prozent hinausgehend erheblich steigen wird, da die Kosten hierfür vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sind.
§ 64 SGB XII Vorrang:
Mit der Neuregelung wird vorgegeben, dass zur Bedarfsdeckung in der häuslichen Pflege das Pflegegeld Vorrang vor der Häuslichen Pflegehilfe als Sachleistung haben soll. Diese Vorrangstellung gibt es im SGB XI nicht und ist auch nicht begründet. Die Regelung ist eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts des Pflegebedürftigen. Es besteht die Gefahr, dass mit Blick auf diese Vorrangregelung Pflegebedürftige unter Druck gesetzt werden, anstelle von Sachleistungen das Pflegegeld zu nutzen, auch wenn dadurch die Bedarfsdeckung nur eingeschränkt erfolgen kann. Hier wird eine Gefährdung der Pflegebedürftigen durch eine unzureichende Versorgung ggf. billigend in Kauf genommen.
Im Zusammenwirken mit den Regelungen aus §§ 123, 124 SGB XI zur Überprüfung der Pflegesituation durch Modellkommunen entstehen Zweifel hinsichtlich der offenen leistungserschließenden Beratung durch die Kommunen.
Vorschlag:
§ 64 Abs. 1 SGB XII wird gestrichen. Absatz 2 SGB XII des Gesetzesentwurfes wird der alleinige Text des § 64 SGB XII.
§ 64i SGB XII Entlastungsbetrag bei Pflegegrad 2 bis 5:
Aus dem Entwurf des § 64i SGB XII ergibt sich nicht zweifelsfrei, ob der Entlastungsbetrag auch neben der stationären Pflege gezahlt werden muss. In § 63 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII stehen die Leistungen stationäre Pflege und Entlastungsbetrag gleichrangig nebeneinander; ein Ausschluss des Entlastungsbetrages findet sich auch nicht in § 65 SGB XII. Man könnte aus der Paragraphenbezeichnung 64i vs. 65 auslegen, dass der Entlastungsbetrag nur bei häuslicher Pflege beansprucht werden kann. Hier sollte eine Klarstellung erfolgen.
Vorschlag:
In § 64i Satz 1 SGB XII wird nach dem Wort „haben“ folgender Text eingefügt: „…, soweit keine stationäre Pflege nach § 65 in Anspruch genommen wird, …“.
Ziffer 10. beziehend auf § 76 Abs. 2 Satz 3 SGB XII:
Der im Entwurf genannte Verweis auf § 64 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist falsch.
Vorschlag:
Der Verweis in § 76 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ist in „§ 64b Abs. 1 Satz 3“ zu ändern.
Zusätzlich zu den im Gesetzesentwurf vorgebrachten Änderungen und Ergänzungen sollte nun endlich die Schiedsstellenfähigkeit der Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 75 SGB XII erreicht werden. Bisher kann nur nach dem (einvernehmlichen) Abschluss einer Leistungs- und Prüfungsvereinbarung eine Vergütungsvereinbarung vor der Schiedsstelle erkämpft werden. Besteht keine Einigung zur Leistungs- und Prüfungsvereinbarung, ist der Einrichtungsträger auf die Durchsetzung seiner Ansprüche über die Sozialgerichte mit einer entsprechend langen Verfahrensdauer angewiesen. Anders als im SGB XI muss also über die Leistung vor Gericht gestritten werden, obwohl die Schiedsstellen der Sozialhilfe in der Besetzung mit Einrichtungsträgern und Kostenträgern grundsätzlich ebenfalls geeignet sind, über die einzelnen Leistungen ein sachgerechtes Urteil zu finden. Dies dürfte auch zu einer Entlastung der Sozialgerichte führen.
Vorschlag:
§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Abschluss von Vereinbarungen wird wie folgt geändert:
Die Worte „§ 76 Abs. 2“ werden geändert in „§ 75 Abs. 3“.