Drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG III)
Offener Brief an den Bundesrat 07. Dezember 2016.
Das am 1. Dezember 2016 verabschiedete Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) enthält im Artikel 1 wesentliche Änderungen des SGB XI. Durch den kurzfristigen Änderungsantrag Nr. 9 wurden die wesentlichen Rahmenbedingungen der Vergütung der Pflegeleistungen verändert und es droht eine gewaltige Kostenlawine für Bewohner und Sozialhilfeträger.
- Das Prinzip des wirtschaftlichen Handels und die sozialmarktwirtschaftlichen Grundlagen mit Wettbewerb für Qualität und Kosteneffizienz werden außer Kraft gesetzt.
- Der Wettbewerb zwischen privaten und freigemeinnützigen Trägern als Garant für sparsames Wirtschaften und Kostenstabilität wird aufgehoben.
- Die Betreiber von Bestandseinrichtungen werden ihre Gehälter erhöhen, da die Personalkosten künftig nur noch ein durchlaufender Posten sind und sparsames Wirtschaften nicht mehr honoriert wird. Die Unternehmen haben dadurch kein Interesse mehr an Kosteneffizienz. Es herrscht wieder weitestgehend das Selbstkostendeckungsprinzip.
- Nach einer Untersuchung des Rheinisch Westfälischen Instituts (RWI) vom 18. Dezember 2015 für den AGVP, wird auf dieser Basis das einzelne Pflegebett pro Monat um 500 Euro teurer. Bereits heute sind von den bundesweit 900.000 Pflegeplätzen über 40% mit Sozialhilfeempfängern belegt. Dies bedeutet eine monatliche Kostensteigerung von 180 Mio. Euro für die Kommunen (360.000 von 900.000 Pflegeplätzen belegt durch Sozialhilfeempfänger x 500 Euro Mehrkosten pro Platz/Monat = 180 Mio. Euro Mehrkosten/Monat).
- Bei einer Aussicht auf maximal 2% Unternehmerrisikoaufschlag kann kein privater Betreiber mehr in Pflegeimmobilien investieren. Die hohen Anlaufverluste bei einer Neueröffnung und die Risiken der Minderauslastung (Kalkulationsbasis je nach Bundesland 96 bis 98 % Auslastung, tatsächliche Auslastung der stationären Einrichtungen 2013 bei durchschnittlich 89 %) sind nicht ausreichend abgedeckt.
- Auch kein Immobilieninvestor wird eine Seniorenimmobilie errichten und das Risiko eingehen, an einen Betreiber für 20 Jahre zu verpachten, der maximal einen 2%-igen Unternehmerrisikoaufschlag generieren kann. Die Pachtzahlungen können schon bei geringer Unterauslastung der Pflegebetten nicht mehr verdient werden.
- Wer zukünftig für die dringend notwendigen zusätzlichen Kapazitäten für die sachgerechte Seniorenpflege sorgen soll, bleibt offen.
Wir hoffen, dass wir Ihnen die Dramatik der Lage verdeutlichen konnten.
Unsere Bitte an Sie: Stoppen Sie die im PSG III durch die Hintertür eingebrachten, sachfremden Regelungen des Änderungsantrages Nr. 9, enthalten in der Drucksache 18/10510 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss):
Änderungsvorschlag zu Artikel 1 (SGB XI) Nummer 16.
- § 75
- Die in Absatz 2 Satz 1 eingefügten Nummern 10 und 11 unter Punkt dd) müssen vollständig gestrichen werden.
Änderungsvorschlag zu Artikel 1 Nummer 17a
- § 84
- Die eingebrachte Formulierung in bb) muss vollständig gestrichen werden.
- Die eingebrachte Ersetzung in Absatz 7 Satz 1 muss vollständig gestrichen werden.
Änderungsvorschlag zu Artikel 1 Nummer 17b
- § 85
- Der nach Absatz 3 Satz 4 eingefügte Satz muss komplett gestrichen werden.
Ausführliche Erläuterung
Seit Einführung der Pflegeversicherung und der damit verbundenen Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips sind vor allem von den privaten Betreibern erhebliche Investitionen zum Aufbau von dringend notwendigen Kapazitäten zur Versorgung der Senioren sowohl in der stationären als auch ambulanten Pflege getätigt worden. Nachweislich ist der Anteil der Investitionen der Privatwirtschaft seit Einführung der Pflegeversicherung deutlich höher als der der kirchlichen und freigemeinnützigen Träger. Der aktuelle Marktanteil der Privatwirtschaft bei den ambulanten Trägern beträgt 63,9% und bei den stationären Trägern 41,1%. Die Pflegeversicherung hat also neben Wettbewerb und Kosteneffizienz auch den politisch gewünschten Effekt, den Ausbau der dringend notwendigen Kapazitäten zur Versorgung der Senioren ohne zusätzliche staatliche Fördermittel bewirkt. Allein von 1999 bis 2013 wurden 46 Mrd. € in den stationären Bereich investiert (Neu/Bestandinvestition, vgl. aktueller Pflegeheim Rating Report 2015). Dabei wurde von der Privatwirtschaft, deren stationäre Plätze sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt haben der deutlich größere Anteil der Investitionen übernommen. Die Anzahl der Plätze freigemeinnütziger Träger habe sich im gleichen Zeitraum um nur 25 % erhöht. Diese Investitionen erfolgten im Vertrauen auf die sozialmarktwirtschaftlichen Grundlagen und die bisherigen Vergütungsregelungen.
Bisherige Regelung für Pflegesatzverhandlungen
Bisher werden die Pflegesätze auf Basis von prospektiv geplanten Kosten bei einer Auslastung von 96 bis 98 % (je nach Bundesland und unabhängig von der tatsächlichen Belegung) ermittelt. In der Regel wird kein Unternehmerrisiko ausgewiesen, da dieses von den Kostenträgern sofort gestrichen wird. Erscheinen die vom Träger vorgelegte Kalkulation und die geforderte Erhöhung plausibel und führt die Gesamtkalkulation dazu, dass die Einrichtung im unteren Drittel von vergleichbaren Pflegeeinrichtungen liegt (externer Vergleich), wird die geforderte Erhöhung ohne weitere Nachweise akzeptiert. Liegt die Kalkulation über dem unteren Drittel des externen Vergleichs, wird die wirtschaftliche Angemessenheit von den Kostenträgern überprüft und die höheren Entgelte müssen begründet werden, z. B. Tarifbindung, höhere Personalschlüssel, besondere Leistungsangebote, Lage, Größe und Bauart der Einrichtungen. Im Einzelfall sind dazu Kostennachweise erforderlich. Liegt die prospektive Kostenkalkulation im oberen Drittel, verlangen die Kostenträger teilweise Kostennachweise, die die kalkulierten Werte untersetzen.
Spätestens seit dem BSG Urteil Az. B 3 P 2/12 R vom 16.05.2013 gelten auch Tariflöhne als wirtschaftlich angemessen, müssen aber nachgewiesen werden. Wird der Pflegesatz verhandelt und abgeschlossen, sind die Personalschlüssel und die Regeln der Rahmenverträge einzuhalten. Dieses wird von der Heimaufsicht und dem MDK überprüft. Weitere Nachweise oder Überprüfung der kalkulierten Kosten finden nicht statt.
Erreicht der Betreiber die kalkulierte oder gar eine höhere Auslastung und wirtschaftet er besser als prospektiv kalkuliert, darf er den Überschuss als Unternehmergewinn / Unternehmerrisiko vereinnahmen. Ebenso verbleibt der Verlust bei schlechtem Wirtschaften oder einer Unterauslastung beim Betreiber, wie das z. B. in der Anlaufphase einer neuen Einrichtung immer gegeben ist.
Auswirkungen der neuen Regelung
Nach der neuen gesetzlichen Regelung müssen alle Träger ihre angesetzten bzw. kalkulierten Gehälter unabhängig von der Höhe (Tarifbindung oder nicht) bei den Pflegesatzverhandlungen nachweisen: Die Personalkosten werden refinanziert bis maximal zur Höhe von Tarifgehältern. Damit werden Personalkosten, welche mit 80 % an den Gesamtkosten in den Pflegesatzverhandlungen veranschlagt werden, zu einem durchlaufenden Posten, was den Unternehmen keinen Anreiz mehr zu wirtschaftlichem Handeln gibt.
Damit ist die Refinanzierung der Personalkosten vom Gesetzgeber als fix definiert, der Zuschlag des Unternehmerrisikos aber nicht. Im neuen Gesetz wird lapidar festgesetzt, dass der Betreiber ein Anrecht auf die Anerkennung eines Unternehmerrisikos in der Kalkulation hat. Doch eine Definition, was denn als „angemessen“ angesehen wird, bleibt aus. Die Betreiber gelangen damit in die Abhängigkeit und den Goodwill der Kostenträger (Pflegekassen und örtliche Sozialhilfeträger) bei immer knapper werdender Kassenlage. Der Unternehmerrisikozuschlag wird wohl in mühsamen Verhandlungen in der Schiedsstelle oder vor Gericht zu klären sein. Seit mehr als 10 Jahren versuchen viele Träger, teilweise sogar mit Aufdeckung und Nachweis aller Kosten, mit den Kostenträgern ein sogenanntes Unternehmerrisiko, eine Kapitalverzinsung oder einen Gewinnaufschlag zu vereinbaren. Bisher ohne sichtbaren Erfolg. Es gibt vereinzelte Schiedsstellensprüche (erste Instanz nach Scheitern der Verhandlung) aus Baden-Württemberg (Evangelische Heimstiftung) und Niedersachsen, die 1,5 bis 2,5 % Unternehmerlohn bei angemessenen Pflegesatzforderungen empfehlen.
Bei der gültigen Kalkulationsgrundlage für die Pflegeentgelte wird von einer fiktiven Auslastung der Einrichtung je nach Bundesland von 96 % bis 98 % ausgegangen. Die durchschnittliche Auslastung aller vollstationären Einrichtungen lag 2013 entgegen den fiktiven Kalkulationen von 96 bis 98% bei nur 89 % Auslastung. Diese Grundlage führt bei einer Unterauslastung der Pflegebetten schnell zu hohen Verlusten bzw. bei der Neueröffnung einer Einrichtung zu erheblichen Anlaufverlusten in den ersten zwei Betriebsjahren von durchschnittlich 800.000 €. Diese müssen erst einmal durch Gewinne in den Folgejahren kompensiert werden. Die Berücksichtigung eines Unternehmerrisikoaufschlages von maximal 2 %, was bei einer 100-Betten Pflegeeinrichtung ca. 55.000 Euro ausmacht, trägt diesen erheblichen Risiken nicht annährend angemessen Rechnung.
Mögliche angemessene Gewinne bei optimaler Betriebsführung und Auslastung zur Verzinsung des eingesetzten Kapitals sind für Pflegeeinrichtungen eine notwendige wirtschaftliche Grundlage, um Rücklagen für Neuinvestitionen zu bilden oder aktuelle Investitionsanforderungen umsetzen zu können, die durch gesetzliche Änderungen (z.B. neues PflegWoG Bayern und Baden-Württemberg) oder für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig sind.
Woher sollen die Finanzmittel für die dringend benötigten zusätzlichen Pflegeplätze zukünftig kommen? Welcher Unternehmer geht die Risiken zum Betrieb einer sozialen Einrichtung ein, bei einer Aussicht auf 2 % zu berücksichtigendem Unternehmerrisikos bei den gegebenen Risiken?
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Statistik der Sozialhilfe (2013) belegen, dass der Staat bereits heute 3,8 Mrd. Euro pro Jahr für 444.000 Sozialhilfeempfänger für die Hilfe zur Pflege ausgibt. Die notwendig werdende Erhöhung des Pflegeplatzes um 500 Euro pro Monat (laut RWI) belastet den Sozialhilfeträger mit Mehrausgaben von 2,16 Mrd. Euro pro Jahr! Das entspricht einer Steigerung der Kosten für die Hilfe zur Pflege von 56,8 %!
Wir appellieren eindringlich an Sie: Stoppen Sie die von uns kritisierten, schadenbringenden Formulierungen im PSG III!