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Qualifizierte Hilfe aus China

AGVP-Präsident Thomas Greiner und Friedhelm Fiedler, Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Pflege im Hörfunkgespräch mit der DEUTSCHEN WELLE

 

In Deutschland herrscht Pflegenotstand. 40.000 Fachkräfte fehlen schon jetzt, bis zum Jahr 2020 sollen es 110.000 sein. Unterstützung soll deshalb von hochqualifizierten Pflegekräften aus China kommen.
„Als mir in den 60er Jahren die Mandeln entfernt wurden, hatte ich eine philippinische Krankenschwester“, sagt Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege, im Interview mit der DW. „Es ist also nichts großartig Neues“. Zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit will Greiners Verband Pflegefachkräfte aus China anwerben. Es ist eine Reaktion auf den Pflegenotstand in Deutschland, der dramatische Züge annehmen dürfte, wenn nichts unternommen wird. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland rund 2,34 Millionen pflegebedürftige Menschen, die meisten von ihnen sind über 65 Jahre alt.

 

Suche in Deutschland, Europa und der Welt
Die Hilfe durch Familienmitglieder indes geht immer weiter zurück. Gesellschaftlicher Wandel und ein höherer Anteil von Alten an der Gesamtbevölkerung führen dazu, dass immer mehr ältere Menschen in Pflegeheimen betreut werden. Schon jetzt fehlen allerdings 40.000 ausgebildete Fachkräfte in den Pflegeberufen, hat die Bundesagentur für Arbeit festgestellt, bis zum Jahr 2020 sollen es sogar 110.000 sein. Wegen der geringen Geburtenrate reicht der Nachwuchs aus Deutschland bei weitem nicht. Thomas Greiner fordert deshalb, das Problem von drei Seiten anzugehen: „Das wichtigste ist, in Deutschland zeitnah Pflegehilfskräfte zu Fachkräften auszubilden.“ Diese Hilfskräfte brächten eine mehrjährige Berufserfahrung und Fachwissen mit, sie identifizierten sich mit dem Beruf, so Greiner. Doch dies wird nicht ausreichen, um die Nachfrage zu decken. Gleiches gilt für die Ausbildung von Nachwuchskräften in Deutschland. Zwar sind alle Lehrstellen in dem Bereich besetzt, doch auch damit lässt sich der Bedarf nicht decken.
Deswegen versuchen die Arbeitgeber, die Verbände und die Bundesagentur für Arbeit, Personal in den anderen EU-Staaten zu finden. „Hier stellen wir fest, dass wir in Deutschland dieses Thema leider in den letzten Jahren verschlafen haben“, bedauert Thomas Greiner. Viele Pflegekräfte seien in andere Regionen Europas gegangen. Balten hätten neue Arbeitsplätze in Großbritannien, Irland oder Skandinavien gefunden, Tschechen und Serben in Österreich, Bulgaren und Rumänen in Italien. In vielen Ländern der EU durchlaufen Pflegefachkräfte ein vierjähriges Studium, in Deutschland ist es nur eine dreijährige Ausbildung. „Da stellt sich die Frage, inwieweit wir diese Leute im klassischen Altenheim einsetzen können, wo sie Tätigkeiten ausüben müssen, die vielleicht nicht ganz ihrer Ausbildung entsprechen“, sagt Greiner. Die deutsche Sprache sei ein weiteres Hindernis. Englisch oder Französisch wird in den Schulen im Ausland häufiger gelehrt als Deutsch.

 

Chinas Regierung unterstützt die Abwanderung
Nun also China. Dort gibt es nach Informationen des Arbeitgeberverbandes Pflege rund 400.000 arbeitslose Pflegekräfte. Und die sind, so sagt es Friedhelm Fiedler von Pro Seniore, einem der größten privaten Anbieter für Senioreneinrichtungen in Deutschland, „sehr gut ausgebildet.“ Er schwärmt im Gespräch mit der DW von 202 Fachhochschulen und zwölf Universitäten in China, an denen Pflegewissenschaft mit den Abschlüssen Bachelor und Master of Nursing studiert werden kann. Weil aber nicht für all diese Absolventen Arbeitsplätze zur Verfügung stünden, werde die Abwanderung der Fachkräfte sogar von der chinesischen Regierung unterstützt.

Viele von ihnen arbeiten inzwischen in den USA, Kuwait, England, Skandinavien, Australien oder Neuseeland. Der Arbeitgeberverband Pflege, dem auch Fiedler angehört, hat sich nach eigenen Angaben in China von der Qualität der Ausbildung überzeugt. „Und wir haben uns auch in den Ländern, in denen heute schon Chinesen in der Pflege arbeiten, nach der Zufriedenheit erkundigt“, ergänzt Fiedler, „und wir hören überall nur sehr, sehr positive Nachrichten.“

 

Gut vorbereitet in den neuen Kulturraum
Angst, dass die Chinesen die Kultur- und Sprachbarriere nicht überwinden könnten, hat Fiedler auch nicht: „Die jungen Chinesinnen und Chinesen werden nach ihrer Pflegeausbildung an der Hochschule in ihrem Heimatland in einem achtmonatigen Intensivschulungsprogramm auf das Land vorbereitet, in das sie gehen werden.“ Neben dem umfangreichen interkulturellen Training gibt es ein zusammen mit dem Goethe-Institut durchgeführtes Sprachtraining mit durchaus hohen Anforderungen.
Die sind übrigens so hoch, dass sie in der Vergangenheit Interessenten aus Europa vor dem Umzug nach Deutschland abgeschreckt haben sollen. Neben diesen fachlichen Qualifikationen hat Friedhelm Fiedler noch andere Vorzüge bei Fachkräften aus dem asiatischen Raum entdeckt: „Dort sind ältere Menschen gesellschaftlich ganz anders geachtet als bei uns.“ Als in den 60er und 70er Jahren Pflegepersonal aus Korea und den Philippinen angeworben wurde, hätten viele deutsche Patienten dessen Sanftmut, Freundlichkeit und unermüdliche Pflegebereitschaft gelobt.

 

Projektstart mit 150 Pflegefachkräften
Das Pilotprojekt, das im kommenden Jahr mit 150 Pflegefachkräften aus dem Reich der Mitte beginnen soll, ist zunächst auf fünf Jahre angelegt. „Langfristig ist es aber unser Ziel, die Menschen ganz in Deutschland zu behalten“, so Fiedler. Dabei sollen die Neuankömmlinge auf bestimmte Einrichtungen schwerpunktmäßig verteilt werden. Fünf bis acht Chinesen sollen dann gemeinsam in einem Haus arbeiten, „weil es wichtig ist“, sagt Friedhelm Fiedler, „das Zusammengehörigkeitsgefühl zu unterstützen.“
Das hätten die Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen chinesische Pflegekräfte schon eingesetzt werden, gezeigt. Befürchtungen, es könnte durch die neuen Arbeitskräfte zu einem Lohndumping in Deutschland kommen, räumt Thomas Greiner vom Arbeitgeberverband Pflege aus. Die Chinesinnen und Chinesen würden nach Tarif bezahlt. Nach den Nationalitäten schaue man in der Pflege ohnehin schon lange nicht mehr, sagt Friedhelm Fiedler: „Die Welt, auch in der Pflege, wird bunter werden. Entscheidend ist, dass die Qualität sehr gut ist.“