PresseInformationen

Pflegestationen wegen Fachkräftemangels vor der Schließung

– Arbeitgeberverband schlägt Alarm – Branche will auch Arbeitslose anlernen –
Zuwanderung gefordert –

 

dapd-Interview mit Friedhelm Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Pflege

 

Von Verena Schmitt-Roschmann

 

Berlin (dapd). In der Pflege fehlen inzwischen so viele Fachkräfte, dass nach Angaben der Branche bald Stationen oder ganze Heime geschlossen werden könnten. „Das ist die blanke Not, die zu solchen Diskussionen führt“, sagte der Vizevorsitzende des Arbeitgeberverbands Pflege, Friedhelm Fiedler, am Dienstag der Nachrichtenagentur dapd. Der Verband fordert Reformen der Aus- und Weiterbildung und „weltweite, gezielte Zuwanderung“ nach einem Punktesystem.

 

Fiedler sprach von einer dramatischen Situation wegen des Fachkräftemangels. „Ich kann nur sagen, dass die Lawine rollt, das ist keine herbeigeredete Krise“, sagte der Verbandsvertreter. Bereits jetzt seien einige Stationen zum Beispiel in Schleswig-Holstein nur noch zu retten, wenn die vorgeschriebene Zahl von Fachkräften verringert werde. Einige Bauherren von neuen Pflegeheimen sähen ihre Investition in Gefahr, weil sie Stellen womöglich nicht besetzen könnten.

 

Für die kommenden Jahre erwartet der Verband eine weitere Verschärfung. Allein bis 2020 habe der deutsche Pflegemarkt einen zusätzlichen Bedarf von rund 300.000 Arbeitskräften, davon 77.000 examinierte Pflegefachkräfte. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde von heute 2,4 auf dann 2,8 Millionen steigen. „Das sind belastbare Zahlen“, sagte Fiedler.

 

Pflegeversicherung in Geldnot

 

Eine Verbesserung der Einkommen, die mehr Personal anlocken könnte, liege nicht im Ermessen der Pflegeeinrichtungen, erklärte der Arbeitgebervertreter weiter. „Es liegt nicht an uns, es liegt an den Pflegekassen, die nicht mehr zahlen wollen“, sagte er. Die Pflegekassen wiederum seien aus Geldnot gezwungen, die Kosten zu deckeln.

 

Bereits Ende 2011 könnten die Reserven der sozialen Pflegeversicherung aufgebraucht sein, sagte Fiedler voraus.Er unterstützte Pläne der schwarz-gelben Koalition, möglichst schnell eine kapitalgestützte zweite Säule der Pflegeversicherung aufzubauen, einen sogenannten Pflege-Riester als Pflichtversicherung für alle.

 

Geld allein wird aus Fiedlers Sicht den Fachkräftemangel aber nicht beheben. Die Branche würde statt der heute 44.000 gerne bis zu 70.000 Menschen ausbilden, konkurriere aber zunehmend mit anderen Branchen um Ausbildungswillige. „Das ganz klare Fazit lautet: Wir müssen das Image der Pflege verbessern“, sagte er. „Es ist eine spannende und krisenfeste Tätigkeit.“ Es sei nötig, mehr Junge für den Pflegeberuf zu gewinnen, aber gleichzeitig auch Berufsausteiger und Frauen nach der Babypause zurückzuholen sowie unter Arbeitslosen Talente zu gewinnen.

 

Japan wirbt gezielt Pfleger an

 

In einem Positionspaper fordert der Verband auch, die Definition einer „Fachkraft“ zu erweitern. Pflegehilfskräfte mit langer Berufserfahrung sollten zu qualifizierten Tätigkeiten herangezogen werden können und sich auch „in kurzer Zeit zur Fachkraft nachqualifizieren können“. Bekommt ein Heim beim Pflege-TÜV gute Noten, soll ihm eine geringere „Fachkraftquote“ erlaubt werden.

 

Darüber hinaus hält der Verband gezielte Zuwanderung für unerlässlich, und zwar nicht nur aus der EU. Fiedler verwies auf Japan, das nahezu dieselben Probleme habe wie Deutschland und auf bilaterale Verträge mit Korea und den Philippinen zum Anwerben von Pflegern setze: „Das funktioniert dort sehr gut.“

 

In Deutschland gehe die Debatte über Einwanderung nach einem Punktesystem in die richtige Richtung. Die Einkommensgrenzen für potenzielle Zuwanderer von heute mehr als 60.000 Euro müssten klar gesenkt werden, sonst bleibe „die Pflege außen vor“.

 

Die Ablehnung von Zuwanderung aus fremden Kulturen gehe an der Realität vorbei, sagte Fiedler. Deutschland sei längst Einwanderungsland. „Ohne Zuwanderung haben wir keine Zukunft“, fügte er an. „Wir müssen alles versuchen, dass das Thema Integration gelingt.“

dapd/tt

Verband warnt vor Schließung von Pflegeheimen aus Personalmangel

– Arbeitgeber verlangen einfachere Qualifizierung und „weltweite, gezielte Zuwanderung“ –

dapd-Interview mit Friedhelm Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Pflege

 

Berlin (dapd). In der Pflege fehlen so viele Fachkräfte, dass Experten mittelfristig die Schließung von Heimen befürchten. Das geht aus einem Positionspapier des Arbeitgeberverbands Pflege hervor, das der
Nachrichtenagentur dapd vorliegt. Der Verband fordert Reformen bei der Aus- und Weiterbildung in Deutschland und „weltweite, gezielte Zuwanderung“ nach einem Punktesystem. „Die Gewinnung von Pflegefachkräften gestaltet sich zunehmend dramatischer“, heißt es in dem Papier. „In einigen Ballungsgebieten ist es kaum mehr möglich, Pflegefachkräfte zu rekrutieren.“ Selbst Zeitarbeitsfirmen in der Pflege hätten zu wenig Fachkräfte, Führungskräfte seien noch schwerer zu finden. „Wenn es so weiter geht, droht so manche Schließung von Pflegeeinrichtungen“, erklärt der Verband. „Regional notwendige Pflegeplätze können aus Mangel an Fachkräften teilweise schon heute nicht mehr belegt werden.“ Nötig sei eine „konzertierte Aktion pro Pflege“, heißt es weiter. „Es ist somit an der Zeit, die Politik aus ihrem Tiefschlaf zu wecken und die Verharmlosungsstrategie zu beenden.“

 

Hilfskräfte zur Fachkraft „nachqualifizieren“

Konkret schlägt der Arbeitgeberverband unter anderem vor, die Definition einer „Fachkraft“ zu erweitern. Pflegehilfskräfte mit langer Berufserfahrung sollten zu qualifizierten Tätigkeiten herangezogen werden können und sich auch „in kurzer Zeit zur Fachkraft nachqualifizieren können“. Bekommt ein Heim beim Pflege-TÜV gute Noten, soll ihm eine geringere „Fachkraftquote“ erlaubt werden. Für die EU fordert der Verband einheitliche Ausbildungs- und Rahmenbedingungen. Für bereits ausgebildete Kräfte aus der EU müsse ein Nachschulungsbedarf definiert werden, der „über die Arbeitgeber vollzogen werden“ solle. Für eine weltweite Einwanderung von Pflegerinnen sollen Kurzgutachten potenzieller Herkunftsländer erstellt und die dortigen Ausbildungsstandards geprüft werden. Mit einzelnen Ländern sollen bilaterale Verträge geschlossen werden. Zudem seien die Rahmenbedingungen für eine Greencard zum Beispiel über ein Punktesystem vorzugeben, heißt es in dem Papier weiter.

dapd/tt/kos